Sicherer Überholabstand
Durch die Änderung der Straßenverkehrsordnung (StVO) gilt seit dem 28. April 2020 ein gesetzlich festgelegter Mindestabstand beim Überholen von Radfahrer*innen.
§ 5 StVO 2013 - Einzelnorm (gesetze-im-internet.de)
Kfz-Fahrer*innen müssen nun mindestens 1,5 m innerorts und 2 m außerorts beim Überholen von Radfahrer*innen einhalten. Der Mindestabstand gilt auch beim Überholen an Schutzstreifen und an Radfahrstreifen.
Wie sieht dies aber in der Praxis aus?
Sichere Mobilität braucht Abstand
Mögen Sie es auch gerne kuschelig, wenn Sie auf dem Fahrrad im Innenstadtverkehr unterwegs sind? Rechts von sich die parkenden Autos, wo sich jederzeit eine Tür öffnen kann, links die hautnah überholenden Kraftfahrzeuge, deren Fahrer manchmal aufmunternd hupend vorbeiziehen. Insgesamt eine Atmosphäre, in der nur hart gesottene Radler mit dickem Fell entspannt und gelassen bleiben können.
Damit auch weniger abgebrühte Radfahrer angstfrei am Straßenverkehr teilnehmen können, brauchen sie ausreichenden Bewegungsraum. Dieser soll ihnen nicht nur auf eigenen Sonderwegen (meistens Bordsteinradwegen mit blauem Schild) eingeräumt werden, sondern auch auf der Fahrbahn. Aufgrund der 1997 geänderten Straßenverkehrsordnung müssen Radfahrer die Fahrbahn gleichberechtigt mit dem Autoverkehr nutzen, soweit keine Radwegebenutzungspflicht auf eigenen Sonderwegen (mit Zeichen 237, 240 oder 241) besteht. Radler bewegen sich auf der Fahrbahn entweder im Bereich eines Schutzstreifens (mit unterbrochener Linie auf der Fahrbahn), eines Radfahrstreifens (mit durchgehender Linie auf der Fahrbahn) oder dem rechten Fahrbahnbereich (ohne Markierung).
Generell dürfen Kraftfahrer Radfahrer nur dann überholen, wenn sie dabei einen seitlichen Überholabstand von mindestens 1,50 m einhalten können. Dies schreibt die Rechtsprechung seit vielen Jahren in Ausfüllung des § 5 Abs. 4 StVO (ausreichender Seitenabstand) vor. Die Unfallforschung der Versicherer –UdV- hat dies in einem Rechtsgutachten vom Dez. 2018 untermauert. Hierin stellt der Gutachter, Prof. Dieter Müller fest, dass „es bei Überholvorgängen sowie Vorgängen des Vorbeifahrens an Radfahrern unabhängig von der angeordneten Art der Radverkehrsführung eines Mindestseitenabstandes von 1,5 Metern bedarf. Kann dieser nicht eingehalten werden, besteht für Fahrzeugführer gem. § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO ein so genanntes „faktisches Überholverbot“.
Nachdem sich diese Erkenntnis bis zum Bundesverkehrsminister herumgesprochen hatte wurde dieses Abstandsmaß durch die letzte StVO-Änderung mit Wirkung vom 28.4.2020 festgeschrieben. Die Durchsetzung dieser Regelung im Alltag steht allerdings auf einem anderen Blatt. Zwar ist die Missachtung des ausreichenden Abstands im aktuellen Bußgeldkatalog mit 30 Euro bewehrt, die erfolgreiche Ahndung wird nur gelingen, wenn die hierfür zuständige Polizei dies systematisch kontrolliert und sanktioniert. Da dies zur Zeit nicht geschieht, fühlen sich immer mehr Radler nur auf eigenen Sonderwegen sicher. Hiervon künden zahlreiche Kommentare in den zweijährlich stattfindenden Fahrradklima-Tests des ADFC. Der erforderliche Raum für eigene Radverkehrsflächen kann im Regelfall nur durch Umwidmung von Autofahrspuren oder Kfz-Parkflächen gewonnen werden. Dies durchzusetzen gehört zu einer notwendigen „Flächengerechtigkeit“. Das jahrzehntelange Anspruchsdenken einer Autovorrangpolitik, die immer und überall einen kostenlosen Parkplatz auf öffentlichem Grund garantierte, muss sich hierfür allerdings wandeln.
Eine Stadt bleibt nur dann lebenswert und menschengerecht, wenn der überbordende Autoverkehr drastisch reduziert wird, da sie sonst am fahrenden und parkenden Blech erstickt.
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Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Ausreichender Seitenabstand“ (§ 5 Abs. 4 Satz 2 StVO) beim Überholen/Vorbeifahren von/an Radfahrern
Im Einklang mit der bislang einschlägig ergangenen Rechtsprechung sowie dem Grundprinzip der Verkehrssicherheit als oberster Auslegungsmaxime sämtlicher Verhaltensvorschriften der StVO bedarf es bei Überholvorgängen sowie Vorgängen des Vorbeifahrens an Radfahrern unabhängig von der angeordneten Art der Radverkehrsführung eines Mindestseitenabstandes von 1,5 Metern. Kann dieser nicht eingehalten werden, besteht für Fahrzeugführer gem. § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO ein so genanntes „faktisches Überholverbot“.
Quelle:
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Kommentar
Überholen um jeden Preis?
Seit 1997 ist die gleichberechtigte Fahrbahnnutzung für den Radverkehr in der StVO festgeschrieben. Autofahrer besitzen kein Vorrecht auf der Fahrbahn, die der Radverkehr gleichberechtigt nutzen darf. Die Gleichrangigkeit der Verkehrsarten räumt dem Autoverkehr insbesondere keine Sonderrechte beim Überholen von Radfahrern ein.
Aus dem Wunsch und der Fähigkeit, schneller zu fahren als andere, folgt kein Recht zum Überholen unter Missachtung der Verkehrsvorschriften. So dürfen Kfz-Lenker Radfahrer nur dann überholen, wenn ausreichender Sicherheitsabstand (mindestens 1,50m) eingehalten werden kann. Dies ist oft nur unter Inanspruchnahme der Gegenfahrbahn oder einer Überholspur möglich. Andernfalls müssen sie so lange zurückbleiben, bis sich eine gefahrlose Überholmöglichkeit bietet. Keinesfalls dürfen sie Radfahrer durch dichtes Auffahren oder Hupen bedrängen oder zu enges Vorbeifahren oder Schneiden nötigen. Wenn der vorhandene Verkehrsraum nicht genügend Platz für eigene Sonderwege (sowohl für Kfz als auch Radfahrer) bietet, muss er verträglich geteilt werden. Soweit die Sachlage.
Zahlreiche Autofahrer (eine starke Minderheit, nicht die Mehrheit) können es offensichtlich nicht ertragen, dass Radfahrer gleichberechtigt die Fahrbahn nutzen. Gemeint ist hier der harte Kern der Gefährder hinterm Lenkrad, die durch ihr rücksichtsloses Verhalten Leben und Gesundheit von Fußgängern und Radfahrern bedrohen.
Wie ist es sonst zu erklären, dass sie in verkehrsberuhigten Bereichen oder einem Tempo-10- oder -20-Bereich Radler überholen wollen, die dort mitunter schon schneller als der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit unterwegs sind. Obwohl der Verkehrsraum zum ordnungsgemäßen Überholen nicht ausreicht, werden Radfahrer oft auch in Tempo-30-Zonen oder Fahrradstraßen angehupt, durch dichtes Auffahren bedrängt oder nach hautengem Vorbeifahren geschnitten.
Warum können diese Autofahrer nicht abwarten, bis sich eine günstige Überholmöglichkeit bietet? Das verstehe ich nicht. Oft dauert es nur Sekunden, bis es soweit ist. Die „Rücksichtnahme“ im Sinne des § 1 StVO, die manche Autofahrer stets von Radlern erwarten, kann nicht bedeuten, dass Radfahrer sich in Gefahr bringen, indem sie sich an den äußersten rechten Fahrbahnrand quetschen, um ein hautenges Überholen zu ermöglichen. Hier lauern Sturzgefahren im Türöffnungsbereich parkender Kraftfahrzeuge sowie Hindernisse in Form von Gullys und unebenen Fahrbahnbereichen.
Radfahrer verfügen im Gegensatz zu Autofahrern über kein schützendes Blechkleid.
Aufgrund der physischen Überlegenheit ihrer tonnenschweren Fahrzeuge sind Autofahrer zu besonderer Rücksichtnahme gegenüber „schwächeren“ Verkehrsteilnehmern (Fußgänger, Radfahrer, Kinder, ältere Menschen) verpflichtet.
Ein entsprechendes regelgerechtes Verhalten der Autofahrer trägt daher zu einem entspannten Fahren bei und verhindert für alle Verkehrsteilnehmer gefährliche Situationen.
Georg Blanchot 28.08.2019
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Die Kölner Polizei hat im Sommer 2020 in beispielhaften Aktionen über die Notwendigkeit der Einhaltung der vorgeschriebenen Sicherheitsabstände aufgeklärt. In ihrer Pressemitteilung vom 21.6.2020 führt sie aus: „Wenn diese Abstände (Mindestabstände von 1,50 m innerorts bzw. 2 m außerorts) aufgrund der Straßenbreite oder der Verkehrslage nicht eingehalten werden können, darf auch nicht überholt werden! Der Kraftfahrzeug Führende hat dann hinter den zu schützenden Verkehrsteilnehmern zu bleiben, bis unter Wahrung des seitlichen Mindestabstandes gefahrlos überholt werden kann.“
Pressetext der Polizei: POL-K: 200621-1-K Aktion Seitenabstand - Sie sind gefragt! 21.06.2020 – 11:12
Köln (ots) Nach unserem Startschuss zum Verkehrssicherheitstag (20. Juni) wird am Dienstag (23. Juni) der Seitenabstand beim Überholen mit Kraftfahrzeugen, insbesondere zu Rad Fahrenden, im Fokus der Experten des Verkehrsdienstes der Polizei Köln stehen. Von 9 Uhr bis 13 Uhr erläutern die Verkehrspolizisten auf der Volksgartenstraße in der Südstadt, warum 1,5 Meter Minderstabstand überlebenswichtig ist. Medienvertreter sind zu der Aktion herzlich eingeladen. Die Straßenverkehrsordnung schreibt seit dem 28.04.2020 einen seitlichen Mindestabstand von innerorts 1,5 Meter und außerorts 2 Meter beim Überholen mit Kraftfahrzeugen von zu Fuß Gehenden, Rad Fahrenden und Elektrokleinstfahrzeug Führenden vor. Wenn diese Abstände aufgrund der Straßenbreite oder der Verkehrslage nicht eingehalten werden können, darf auch nicht überholt werden! Der Kraftfahrzeug Führende hat dann hinter den zu schützenden Verkehrsteilnehmern zu bleiben, bis unter Wahrung des seitlichen Mindestabstandes gefahrlos überholt werden kann. Für Zuwiderhandlungen ist mindestens ein Verwarnungsgeld in Höhe von 30 Euro vorgesehen.
Der Seitenabstand gehört ebenso wie die Gefahren beim Rechtsabbiegen und das Freihalten von Radverkehrsflächen zu den Schwerpunktthemen der Polizei Köln bei der Bekämpfung von Verkehrsunfällen unter Beteiligung von Rad Fahrenden. Diese Verkehrsunfälle haben häufig schwere Körperschäden zur Folge.
Beteiligung der Bevölkerung erwünscht: Wie bereits in der Pressemeldung zum Verkehrssicherheitstag (Pressemeldung Ziffer 2 vom 17. Juni 2020) angekündigt, bittet die Polizei Köln Rad Fahrende, mitzuteilen, wann oder wo es beinahe zu Verkehrsunfällen gekommen wäre. Dabei sind natürlich Erlebnisse im Zusammenhang mit den vorgenannten Schwerpunktthemen besonders interessant. Die Polizei Köln hat hierfür ein E-Mail Postfach (sicher-radfahren.koeln [at] polizei.nrw.de) eingerichtet, an das Bürgerinnen und Bürger ihre Erfahrungen schicken können.
Die Polizei Köln wird die Einsendungen über den Sommer hinweg auswerten, mit eigenen Erkenntnissen abgleichen und prüfen was auch mit Partnern der Verkehrssicherheitsarbeit an ausgesuchten Orten für die Sicherheit im Radverkehr oder auch das Sicherheitsgefühl der Rad Fahrenden getan werden kann. (as)
Entsprechende Aktionen für das Kreisgebiet Mettmann haben Vertreter unserer AG Verkehrspolitik Ende letzten Jahres bei der Kreispolizeibehörde Mettmann erbeten, um auch hier das Bewusstsein der Autofahrer für ein sicheres Verkehrsverhalten zu schärfen.
Solche Aktionen entsprechen den Regelungen des Runderlasses des Innenministeriums vom 19.10.2009 über die Verkehrssicherheitsarbeit der Polizei Nordrhein-Westfalen (SMBl Inhalt: Verkehrssicherheitsarbeit der Polizei Nordrhein-Westfalen, RdErl. d. Innenministeriums - 41 - 61.02.01 - 3 - v. 19.10.2009 | RECHT.NRW.DE). Hierin sind neben Zielen und Inhalten der Verkehrsunfallprävention auch Maßnahmen der Verkehrsüberwachung beschrieben, um gegen die Hauptunfallursachen anzugehen und z.B. ungenügenden Sicherheitsabstand zu kontrollieren und zu sanktionieren.